Artikel vom 16. März 2021 In der Kategorie

Mindestunterhalt und Anrechnung fiktiver Einkünfte

Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einem Beschluss vom 09.11.2020 mit der Frage befasst, wie hoch die Anforderungen an einen unterhaltsverpflichteten Elternteil sind, den geringsten, nach der Düsseldorfer Tabelle geschuldeten Kindesunterhalt (sogenannter Mindestunterhalt) aufzubringen.

Diese Frage wird immer dann relevant, wenn der unterhaltsverpflichtete Elternteil ein Einkommen hat, welches die niedrigste Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle nicht erreicht.

Der Grundsatz lautet, dass ein Elternteil immer den Unterhaltsbetrag zu leisten hat, der sich nach seiner Einordnung in die jeweilige Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle ergibt. Hiervon gibt es eine Ausnahme. Diese betrifft die niedrigste Einkommens-gruppe der Düsseldorfer Tabelle, welche den sogenannten Mindestunterhalt vorsieht. Die Ausnahme ist in § 1603 Abs. 2 BGB geregelt. Sie lautet: Es reicht nicht aus, zu erklären, dass man das für die niedrigste Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle erforder-liche Einkommen nicht verdient. Es reicht mithin auch nicht aus zu erklären, dass man den Mindestunterhalt nicht bezahlen könne. Vielmehr ist erforderlich, dass man beweist, trotz aller angestrengter Erwerbsbemühungen keine Arbeit zu finden, die es einem erlaubt, den Mindestunterhalt zu bezahlen und das hierfür entsprechende Einkommen zu verdienen.

Die Anforderungen an diese Beweisführung waren schon immer sehr hoch. Der Grund dafür ist, dass der Gesetzgeber wünscht, dass ein Elternteil zumindest, wenn irgend möglich, den niedrigsten vorgesehenen Kindesunterhaltsbetrag bezahlt. Dies soll er dem minderjährigen Kind, welches auf die Bedarfsdeckung angewiesen ist, schulden. Darüber hinaus sind diese Anforderungen auch mit einer Entlastung der Staatskassen verbunden, die nicht ohne wirklichen Grund in Anspruch genommen werden sollen.

Dies alles führt dazu, dass ein Unterhaltsverpflichteter, der sich auf ein zu niedriges Einkommen beruft, immer dann, wenn er den Beweis nicht führen kann, sogenannte fiktive Einkünfte angerechnet bekommt. Man behandelt ihn so, als würde er das Einkommen verdienen, welches er bei gehörigen Anstrengungen auch verdienen könnte.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konkretisiert, wie konkret und umfangreich diese Erwerbsbemühungen sein müssen. Danach umfasst die Zurechnung fiktiver Einkünfte nicht nur diejenigen aus der Haupttätigkeit, sondern auch mögliche Nebenverdienste.

Weiter dürfen fiktive Einkünfte nur dann angerechnet werden, wenn sich der Unterhaltsverpflichtete nicht ausreichend um ein Erwerbseinkommen bemüht hat und zugleich eine reale Beschäftigungschance auf dem Arbeitsmarkt besteht, mit welcher die zur Erfüllung der Unterhaltspflicht erforderlichen Einkünfte objektiv erzielt werden können. Ob dies der Fall ist, hängt nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

von seinen persönlichen Voraussetzungen ab, wie beispielsweise Alter, berufliche Qualifikation, Erwerbsbiografie und Gesundheitszustand sowie dem Vorhandensein entsprechender Arbeitsstellen.

Alle diese Umstände müssen durch den unterhaltsverpflichteten Elternteil vorgetragen werden. Wenn er also behauptet, beispielsweise krankheitsbedingt nicht ausreichend arbeiten zu können, dann muss er im Einzelnen Art und Umfang der behaupteten gesund-heitlichen Beeinträchtigungen darlegen, und er muss erklären, inwieweit sich dieser auf die Erwerbsfähigkeit auswirken.

Für die Feststellung, dass ein Unterhaltsschuldner keine reale Beschäftigungschance hat, sieht die Rechtsprechung strenge Maßstäbe vor. Das BVG stellt fest, dass für gesunde Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsalter auch in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit regelmäßig kein Erfahrungssatz besteht, wonach sie nicht in eine vollschichtige Erwerbstätigkeit zu vermitteln seien. Dieser Grundsatz gelte auch für ungelernte Kräfte.

Wenn ein Gericht die Anrechnung fiktiver Einkünfte bejaht, dann wird dem Pflichtigen das Einkommen zugerechnet, das nach realistischer Einschätzung zu erzielen ist. In der Praxis wird als untere Grenze der jeweilige tarifliche Mindestlohn herangezogen. Dieser ist nicht identisch mit dem gesetzlichen Mindestlohn, welcher ab 01.01.2021 € 9,50 beträgt, ab 01.07.2021 € 9,60, ab dem 01.01.2022 € 9,82 und ab dem 01.07.2022 € 10,45. Die vom Statischen Bundesamt erfassten Durchschnittslöhne in Deutschland weisen auch für ungelernte Arbeitskräfte einen deutlich höheren Bruttostundenlohn als 10,00 € aus.

Wenn Sie also in die Situation kommen, dass Sie einen bislang gezahlten Mindest-unterhalt nicht mehr leisten können oder vielleicht einen vormals sogar höher gezahlten Unterhalt nicht einmal mehr in Höhe des Mindestunterhalts bedienen können, dann sollten Sie, schon wenn sich dieses Risiko abbildet, die oben genannten Grundsätze beachten und Buch darüber führen, welche Anstrengungen Sie unternehmen, um das bisherige Einkommen zu bewahren. Dadurch erreichen Sie, dass Sie für den Fall einer gerichtlichen Auseinandersetzung den notwendigen Vortrag zur Vermeidung fiktiver Einkünfte leisten können.

Quelle: Familienrechtsberater Heft 2/2021, Seite 51

 

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