Kindesunterhalt und Wechselmodell
BGH, Beschluss vom 05.11.2014 – XII ZB 599/13
Für den Barunterhalt eines Kindes haften beide Eltern nach ihren beiderseitigen Einkünften.
Der BGH hat sich in dieser Entscheidung mit einem Thema befasst, welches in der Praxis grosse Bedeutung gewonnen hat. Da das Wechselmodell immer häufiger gewünscht wird, stellen sich infolge dessen eine Reihe von unterhaltsrechtlichen Fragen.
Zum Verständnis: Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es zwei Arten gibt, für seine Kinder Unterhalt zu leisten. Es existiert der sog. Betreuungsunterhalt, der dadurch geleistet wird, dass das Kind betreut und versorgt wird. Daneben steht der sog. Barunterhalt, der in Form von Geld geleistet wird und den Grundbedarf eines Kindes sichern soll.
Beide Unterhaltsarten erachtet der Gesetzgeber für gleichwertig. Das hat zur Folge, dass wenn ein Elternteil weit überwiegend den Betreuungsunterhalt leistet, der andere Elternteil den sog. Barunterhalt vollständig zu leisten hat. Dieser Barunterhalt zur Deckung des Grundbedarfs eines Kindes ist in der Düsseldorfer Tabelle geregelt. Dort sind die Beträge ausgewiesen, von denen angenommen wird, dass sie den Grundbedarf eines Kindes decken. Aktualisiert wird die Tabelle jeweils von mehreren Oberlandesgerichten in Zusammenarbeit mit der Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstages
Wenn also beide Unterhaltsarten gleichwertig sind, dann muss eine gleichwertige Betreuung eines Kindes, also die hälftige Übernahme des Betreuungsunterhalts, auch entsprechende Auswirkungen auf den Barunterhalt haben. Der Barunterhalt wiederum ist gekoppelt an das Einkommen des Unterhaltspflichtigen. Je höher sein Einkommen ist, desto mehr Geld kann er für den Grundbedarf seines Kindes zur Verfügung stellen. Je niedriger sein Einkommen ist, desto weniger Geld kann er zur Verfügung stellen. Hieran orientiert sich die Düsseldorfer Tabelle, welche die Grundbedarfsbeträge eines Kindes an Einkommensgruppen orientiert.
Dies hat bei der Gleichwertigkeit von Betreuungs- und Barunterhalt zur Folge, dass sich die Zahlung von Barunterhalt immer dann auf Null aufhebt, wenn beide Eltern nicht nur gleichviel betreuen, sondern auch gleichviel verdienen.
Die Problematik Wechselmodell und Unterhalt ist immer dann schwierig, wenn es von diesem Grundsatz Abweichungen gibt. Beispielsweise wenn Eltern nicht genau hälftig betreuen, sondern nur nahezu hälftig oder beispielsweise in einem 65 : 35 %-Modell. Oder aber sie betreuen zwar hälftig, aber ihre Einkommen sind nicht gleich hoch.
Diese Problematik wird dadurch verschärft, dass nach allgemeiner Einschätzung die Durchführung des Wechselmodells mit bestimmten Mehrkosten verbunden ist, die im Rahmen eines sog. Residenzmodells nicht anfallen würden. Im Rahmen von Barunterhaltsberechnungen möchten die Gerichte dieser Problematik Rechnung tragen. Wie dies aber am Ende im Einzelnen geleistet werden soll, ist nach wie vor nicht gänzlich geregelt.
Auch die hier besprochene Entscheidung des Bundesgerichtshofs bringt nicht wirklich die sicheren Hinweise darauf, wie in der gerichtlichen Praxis mit dieser Problematik umzugehen ist. Was aber der Bundesgerichtshof ganz klar sagt ist, dass er von einem Wechselmodell nur dann ausgeht, wenn die Versorgungs- und Erziehungsaufgaben durch beide Eltern in etwa in hälftigem Umfang wahrgenommen werden. Der BGH fordert also eine nahezu hälftige oder vollkommen hälftige Teilung der Betreuung der Kinder. Er wendet die Grundlagen des Wechselmodells nicht an, wenn die Betreuungsanteile nicht hälftig liegen, sondern beispielsweise bei 60 : 40 % oder bei 70 : 30 %. Es müssen nahezu 50 : 50 % sein.
Weiter stellt der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung fest, dass der Barunterhalt in diesem Falle berechnet werden muss, in dem die beiderseitigen Einkünfte addiert werden und sodann der daraus entstehende Grundbedarf des Kindes gemäß der beiderseitigen Einkünfte zu verteilen ist, wobei die Rechtsprechung zusätzlich zum Grundbedarf auch sog. Mehrbedarfskosten berücksichtigen soll.
Bei alledem stellt der BGH in seiner Entscheidung ausdrücklich fest, dass er der rein zeitlichen Komponente bei der Frage, ob ein Wechselmodell vorliegt, lediglich eine Indizwirkung beimisst. Ob es sich um eine qualitativ gleichwertige Betreuungs- und Barsituation handelt, will er also nicht alleine unter Berufung auf die Zeitanteile entscheiden, sondern unter Berufung auf die auch im Übrigen übernommene Hauptverantwortung durch beide Eltern.
Nach dem Bundesgerichtshof ist es des Weiteren so, dass, wenn kein Wechselmodell in dem oben bezeichneten Sinne vorliegt, aber der Betreuungsanteil des barunterhaltspflichtigen Elternteils nicht als sehr niedrig oder im Minimumbereich anzusiedeln ist, dass dann seinem erhöhtem Betreuungsanteil dadurch Rechnung getragen werden darf, dass er in der Düsseldorfer Tabelle eine Einkommensgruppe herabgestuft werden kann.
Was die Entscheidung nicht abschließend klärt, ist, wie denn in solchen Fällen am Ende konkret die Barunterhaltsanteile beider Eltern unter Einbeziehung von Mehrkosten ausgerechnet werden soll.
Die Problematik wird auch in der Literatur hinreichend diskutiert. Frau Prof. Dr. Kirsten Scheiwe von der Universität Hildesheim vertritt hierzu die Auffassung, dass die Düsseldorfer Tabelle im Falle eines paritätischen Wechselmodells überhaupt nicht anwendbar ist, weil sie auf Residenzmodelle ausgerichtet ist. Sie plädiert dafür, um sachgerechte Ergebnisse beim Wechselmodell erzielen zu können, eine konkrete Bedarfsberechnung für die Kinder durchzuführen. Konkrete Bedarfsberechnung bedeutet, dass die Eltern sich an den Ausgaben orientieren, welche sie für die letzten beispielsweise drei oder sechs Monate konkret für die Kinder ermitteln. Hierfür können Quittungen und Kontoauszüge herangezogen werden. Danach wären nach Auffassung von Frau Prof. Dr. Scheiwe die anrechenbaren Einkommen zu ermitteln, genauso wie man dies täte, wenn man zur Anwendung der Düsseldorfer Tabelle gelangen wollte. Sodann würde sich die Quotenberechnung unter Berücksichtigung eines Selbstbehalts anschließen, um die beiden Haftungsanteile zu bestimmen. Und schließlich wäre die hälftige Teilung des Kindergeldes zu berücksichtigen.
Der Nachteil an der Auffassung von Frau Prof. Dr. Scheiwe ist, dass eine konkrete Bedarfsrechnung recht aufwändig sein kann. Der Vorteil besteht aber darin, dass beide Eltern erkennen, wie der Bedarf der Kinder konkret – und nicht nur pauschal über die Tabelle – aussieht und wie dieser auf beide Elternteile angemessen verteilt werden kann. Auch die sog. Mehrbedarfskosten beim Wechselmodell wären so direkt erfasst, ohne dass man ermitteln müsste, was zu dem in der Düsseldorfer Tabelle erfassten Grundbedarf gehört und was zum Mehrbedarf. Mehrbedarf vom Grundbedarf beim Wechselmodell abzugrenzen dürfet schwierig sein, denn Kosten entstehen bei jedem Betreuungsmodell, auch beim Residenzmodell. Die beim Residenzmodell entstehenden Kosten werden aber unterhaltsrechtlich nicht berücksichtigt. Wie grenzt man also die bei paritätischer Betreuung entstehenden Mehrkosten von solchen Mehrkosten ab, die bei jedem Umgangsmodell entstehen?
Die Auffassung von Frau Prof. Dr. Scheiwe hat bislang keinen Eingang in die Rechtsprechung gefunden, jedenfalls nach meiner Kenntnis bislang nicht. Es wird abzuwarten sein, welche weiteren, auch höchstrichterlichen Entscheidungen zu diesem Problem ergehen. Bis dahin wird mit der Düsseldorfer Tabelle gearbeitet werden müssen, wonach beide anrechenbaren Einkommen der Eltern zu addieren sind, um den Grundbedarf des Kindes zu bestimmen und sodann die Haftungsanteile ausrechnen zu können.