Artikel vom 2. Februar 2024 In der Kategorie

Wann kommt ein Eilverfahren auf Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts infrage?

Voraussetzungen und Ablauf

In meiner Praxis werde ich immer wieder gefragt, ob bei einem Konflikt um die gemeinsamen Kinder ein Eilverfahren auf Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts infrage kommt.

Tatsächlich kommt dieses Verfahren mittlerweile zumindest nach meiner Erfahrung nur noch in Betracht, wenn ein akuter Fall von Kindeswohlgefährdung vorliegt, der eine Entscheidung über den Wohnort eines Kindes erforderlich macht.

Um diesen Anwendungsbereich verstehen zu können, sollte man den Unterschied zwischen einem Hauptsacheverfahren und einem einstweiligen Anordnungsverfahren einerseits verstehen sowie den Unterschied zwischen dem Sorgerecht und dem Umgangsrecht.

Unterschied zwischen Sorgerecht und Umgangsrecht

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist ein Sorgerecht. Das Sorgerecht bezeichnet das Recht Entscheidungen für ein Kind zu treffen. Deswegen wird häufig auch anstelle des Begriffs der elterlichen Sorge der Begriff der elterlichen Verantwortung verwendet. 

Elterliche Sorge steht elterlicher Verantwortung gleich

Im Rahmen des Sorgerechts dürfen Sie entscheiden:

  • wo Ihr Kind wohnt (Recht zur Entscheidung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Das Wort Aufenthaltsbestimmungsrecht ist also irreführend. Es geht nicht um das Recht den Aufenthalt generell zu bestimmen, sondern den Wohnort)
  • welche medizinische Behandlung Ihr Kind erfährt (Recht zur Entscheidung über gesundheitliche Belange)
  • wie Ihr Kind religiös erzogen wird, ob es beispielsweise getauft wird, ob es christlich, jüdisch oder islamisch erzogen wird (Recht zur Entscheidung über religiöse Angelegenheiten)
  • welche Ausbildung Ihr Kind bekommt, welche Kita es besucht, welche Schule es besucht, eine Waldorfschule oder eine altgriechische Schule, das Internat, eine Sportschule, eine Privatschule oder eine öffentliche Schule usw. (Recht zur Entscheidung über schulische Angelegenheiten)

Ein Gerichtsverfahren können Sie über die gesamte elterliche Sorge führen oder über einen dieser Teilbereiche. 

Gemeinsame Entscheidung in Fragen der elterlichen Sorge

Wenn Sie als Eltern die gemeinsame elterliche Sorge haben, dann haben Sie beide das Recht über alle oben genannten Angelegenheiten zu entscheiden. Wenn Sie die gemeinsame elterliche Sorge haben und getrennt leben, dann sieht die Rechtsprechung einen Katalog von Themen vor, über die Sie zusätzlich gemeinsam entscheiden müssen:

  • Wohnort: Sie brauchen die Zustimmung des anderen Elternteils, wenn Sie mit dem Kind umziehen wollen
  • riskante medizinische Eingriffe: Sie brauchen die Zustimmung, wenn Ihr Kind operiert werden muss, wenn eine beispielsweise Mandel OP strittig ist, übrigens auch bei der Frage der Impfung
  • die Ummeldung beim Einwohnermeldeamt: Sie können ein Kind nicht ohne Zustimmung des anderen Elternteils ummelden
  • Passangelegenheiten: Um einen Pass für Ihr Kind zu beantragen, muss der andere Elternteil unterzeichnen
  • schulische Angelegenheiten: Wenn Sie Ihr Kind in der Kita anmelden oder ummelden, in der Schule anmelden oder ummelden wollen, brauchen Sie die Zustimmung des anderen Elternteils
  • eventuell riskante Reisen (beispielsweise solche, für die eine Warnung des Auswärtigen Amtes vorliegt): Eine solche Reise dürfen Sie nicht ohne Zustimmung des anderen Elternteils vornehmen.
  • Auflösung eines Sparkontos (welches Sie mit dem anderen Elternteil für das Kind angelegt hatten): dieses Konto darf ohne Zustimmung des anderen Elternteils nicht aufgelöst werden. Sie dürfen auch ohne Zustimmung des anderen Elternteils von diesem Konto kein Geld abheben.

Generell sagt man, dass Sie immer dann die Zustimmung des anderen Elternteils benötigen, wenn die zu treffende Entscheidung das Leben Ihres Kindes nachhaltig und unumkehrbar beeinflussen kann.

Umgangsrecht – was ist das? 

Das Umgangsrecht hingegen bezeichnet Ihr Recht, die faktische Beziehung mit Ihrem Kind zu leben: Ernähren, Kleiden, Waschen, Windeln, jede Erziehung im weitesten Sinne, zur Schule bringen, Hausaufgaben machen, Freizeit, Urlaub usw.

Das Recht auf diesen Umgang hat jeder Elternteil völlig unabhängig davon, wie das Sorgerecht ausgestaltet ist. 

Jeder Elternteil hat auch die Pflicht, den Umgang mit dem Kind auszuüben, völlig unabhängig davon, wie das Sorgerecht ausgestaltet ist. 

Und schließlich hat jeder Elternteil die Pflicht, dafür zu sorgen, dass der Umgang zwischen dem anderen Elternteil und dem Kind stattfinden kann. 

Daneben hat selbstverständlich das Kind ein Recht auf Umgang mit jedem Elternteil.

Wenn Sie Ihr Kind mehr betreuen möchten, als der andere Elternteil, und sich mit ihm nicht einig werden können, müssen Sie durch das Familiengericht nur den Umgang regeln lassen. Sie brauchen nicht ein sorgerechtliches Verfahren zu betreiben. Dasselbe gilt übrigens, wenn Sie paritätisch betreuen möchten. Es wird also nur der Umgang geregelt, ohne in die elterliche Sorge des anderen Elternteils einzugreifen.

Ein Aufenthaltsbestimmungsrechtsverfahren brauchen Sie, wenn es nicht um reine Fragen der Betreuungsdauer und -frequenz geht, sondern wenn Sie die Sorge haben, dass der Aufenthalt / das Wohnen des Kindes im Haushalt des anderen Elternteils mit einer Kindeswohlgefährdung verbunden ist oder aber mindestens anzunehmen ist, dass es dem Kindeswohl eher dient, wenn das Kind in Ihrem Haushalt lebt.

Beispiele für die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts

  • keine ausreichende emotionale Versorgung 
  • keine ausreichende Förderung: das Kind hat hohe Fehlzeiten in der Schule; es werden keine Hausaufgaben gemacht
  • Das Bedürfnis des Kindes nach Kontinuität wird verletzt, weil der andere Elternteil in eine andere Stadt ziehen will mit der Folge, dass das Kind die Schule wechseln muss, Sie weniger sieht als bisher und seine Freunde verliert
  • Keine ausreichenden sozialen Kontakte
  • Vernachlässigung, 
  • Missbrauch, Gewalt 

Wenn das Gericht Ihnen das Aufenthaltsbestimmungsrecht überträgt, können Sie mit dem Kind umziehen, ohne die vorherige Zustimmung des anderen Elternteils einzuholen. Aber Vorsicht: Sie müssen, wenn Sie umziehen, darauf achten, dass der andere Elternteil immer noch das Umgangsrecht hat. Es bleibt sicherzustellen, dass die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil gewahrt bleibt.

Unterschied zwischen einem Hauptsacheverfahren und einem Eilverfahren

Das Verfahren auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts können Sie als Hauptsacheverfahren und als einstweiliges Anordnungsverfahren (Eilverfahren) führen.

Hauptverfahren

Das Hauptsacheverfahren wählen Sie, wenn die im Raum stehenden Fragen gründlich und abschließend geklärt werden sollen. Hierfür ist in der Regel die Bestellung eines Verfahrensbeistands und die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich. Solche Sachverständigengutachten dauern ein paar Monate. Es geht also Zeit ins Land, innerhalb derer das Kind in den aktuellen Lebensverhältnissen verbleibt. 

Zwar sieht das Gesetz vor, dass grundsätzlich innerhalb eines Monats nach Antragstellung durch das Gericht verhandelt werden soll. Die Klärung kann aber oftmals nur über das Sachverständigengutachten stattfinden.

Einstweilige Anordnungsverfahren 

Das einstweilige Anordnungsverfahren wählen Sie hingegen dann, wenn die Entscheidung über den Wechsel eines Kindes von dem einen Haushalt in den anderen dringlich ist. Beispiel: das Kind erfährt Gewalt von dem anderen Elternteil, oder der Umzug steht unmittelbar bevor.

Weil diese Verfahren dringlich sind, hat das Gericht nicht die Zeit, ein Sachverständigengutachten einzuholen. D. h., dass die Prüfung im Eilverfahren immer hinter dem Prüfungsumfang in einem Hauptsacheverfahren zurückbleibt. Das Gericht muss abzuwägen, ob der Verbleib des Kindes im Haushalt des anderen Elternteils seinem Wohl eher gerecht wird als der schnelle Wechsel in Ihren Haushalt. Um dem Gericht die Dringlichkeit zu erklären, können Sie z.B. ärztliche Atteste vorlegen oder Berichte einer Bezugserzieherin oder Lehrerin oder auch eine eigene schriftliche Erklärung, mit der Sie den Sachverhalt für das Gericht an Eides statt versichern.

Die Entscheidung kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung oder nach mündlicher Verhandlung treffen. Oftmals wird es mündlich verhandeln wollen, wobei wegen der Dringlichkeit möglichst zeitnah verhandelt wird.